Stellungnahme zum Beschluss des Jugendhilfeausschusses Dresden zum Kindeswohl bei Abschiebungen

Beschluss zum Schutz des Kindeswohls bei Abschiebung gefasst

Ende 2017 wurden in Dresden mehrere Fälle von Gewaltanwendung gegen Minderjährige im Zuge von Abschiebungen bekannt. Darauf hin starteten Mitglieder des Dresdner Jugendhilfeausschusses eine Initiative, um solche Fälle künftig zu verhindern. Am 6. September 2018 wurde der im November des Vorjahres eingereichte Antrag nun endlich beschlossen – mit zahlreichen Änderungen.

Um es vorweg zu nehmen: es ist nur ein Teilerfolg, den die in dieser Angelegenheit engagierten Mitglieder des Jugendhilfeausschusses erreichen konnten. Ihre Initiative ging auf Vorfälle zurück, bei denen im Zusammenhang mit Abschiebungen das Kindeswohl offensichtlich massiv verletzt wurde. Gewaltanwendung gegen Minderjährige beim Vollzug der Abschiebung, Familientrennung oder die Abschiebung einer hochschwangeren Frau, aber auch der häufig praktizierte Vollzug der Abschiebung während der Nachtstunden wurden angeprangert.

Ursprünglich sollte der Oberbürgermeister durch einen Beschluss des Ausschusses beauftragt werden, einen Maßnahmeplan unter Mitwirkung der auf Landesebene beteiligten Behörden und über Expertise zu Kindeswohlgefährdung verfügenden Fachkräften zu erarbeiten, damit es solche Vorfälle künftig nicht mehr geben könne1. Bei der Behandlung des Antrages zur Sitzung am 8. März wurde dies von Amts wegen zurückgewiesen: der Bürgermeister habe keine Befugnis, auf Landesbehörden einzuwirken. Der Antrag wurde zur Überarbeitung zurückverwiesen, der Ausschuss beschloss daraufhin einstimmig, eine Expertinnenanhörung durchzuführen.

Zwischenzeitlich wurde im April der Fall der Rückschiebung eines Vaters und seines siebenjährigen Sohnes mit Autismusdiagnose aus Dresden bekannt, die erst auf einem Berliner Flughafen auf Initiative einer Mitarbeiterin der dortigen Abschiebebeobachtungsstelle abgebrochen wurde. Der Ausländerrat Dresden, in dessen Betreuung sich die betreffenden Personen befanden, machte am 24. April mit einer schriftlichen Stellungnahme zu diesem Fall deutlich, wie wichtig es ist, sich mit der Gefährdung des Kindeswohls im Zusammenhang mit Abschiebungen auseinander zu setzen.

Die geforderte Expertinnenanhörung im Jugendhilfeausschuss fand schließlich am 24. Mai statt. Sie lieferte Erkenntnisse, die bei der Formulierung eines neuen Antrages sehr hilfreich waren. Insbesondere die Tatsache, dass Abschiebung zwar von einer Landesbehörde angeordnet und durchgeführt, jedoch die Untere Ausländerbehörde – hier also das Ausländeramt Dresden – regelmäßig bzgl. des Vorliegens möglicher Abschiebungshindernisse angefragt werde, eröffnete eine neue Zielrichtung des geänderten Antrages. Auch sollte er auf präventives Handeln im Vorfeld einer geplanten Abschiebung angelegt sein, denn beim Vollzug sei eine Einflussnahme durch das städtische Jugendamt nicht mehr möglich2.

Ein entsprechend überarbeiteter Antrag kam schließlich am 14. Juni auf die Tagesordnung – und wurde zum wiederholten Male nicht beschlossen. Der Grund diesmal: datenschutzrechtliche Hindernisse. Der Oberbürgermeister kündigte an, den Beschluss als rechtswidrig zurückzuweisen, falls er in der vorliegenden Form getroffen werde. Stein des Anstoßes: eine Formulierung im Antrag, die Ausländerbehörde solle dem Jugendamt die Daten der zur Abschiebung vorgesehenen Minderjährigen und deren Familien übermitteln, damit dieses eine Prüfung auf eine Gefährdung des Kindeswohls im Zusammenhang mit einer Abschiebung vornehmen könne. Eine rechtskonforme Formulierung wurde angemahnt, und das Antragsverfahren ging in eine weitere Runde. Von Ausschussmitgliedern kurzfristig um eine Unterstützung gebetene Juradozent*innen der EHS Dresden – Frau Prof. Dr. Janssen und Herrn Prof. Dr. Deichsel sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt – kamen zu der Einschätzung, dass eine – nicht grundsätzlich ausgeschlossene – Ausnahme bei der Datenweitergabe zwischen den Behörden schwer herzuleiten und zu begründen sei. Und so wurde der entsprechende Absatz dahingehend geändert, dass nun „in der Flüchtlingssozialarbeit, in Beratungsstellen und sonstigen Einrichtungen tätige Fachkräfte, die in Dresden lebende Personen im Asylverfahren oder in Duldung betreuen“ dem Jugendamt melden sollen, wenn ihnen Umstände bekannt werden, die im Falle einer aufenthaltsbeendenen Maßnahme zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen können. Das Jugendamt soll dazu bis zum Jahresende ein entsprechendes Prüfverfahren entwickeln. Der Oberbürgermeister wurde weiterhin beauftragt darauf hinzuwirken, dass Abschiebungen nicht aus Kitas, Schulen und Inobhutnahmeeinrichtungen heraus und nicht während der Nachtstunden erfolgen, dass durch die Abschiebung keine Familien getrennt und Vollzugsbehörden z.B. durch Schulung der Einsatzkräfte bei der Einhaltung des Kindeswohls unterstützt werden, darüber hinaus soll die Ausländerbehörde bei geplanten Abschiebungen von Minderjährigen im Kinderschutz geschulte Fachkräfte einsetzen bzw. hinzuziehen. Über das Ergebnis dieser Hinwirkung soll dem Jugendhilfeausschuss quartalsweise berichtet werden3.

Angesichts dieses Ergebnisses ist zu resümieren, dass der Beschluss am Ende nicht alles gebracht hat, was die Initiator*innen mit ihrem Antrags beabsichtigt hatten. Vor allem wird er nichts daran ändern, dass weiterhin Abschiebungen von Minderjährigen stattfinden werden. Ein generelles Abschiebeverbot von Kindern und Jugendlichen aufgrund der Tatsache, dass keine Abschiebung mit einschlägigen Bestimmungen zum Schutz von Minderjährigen – hier insbesondere der UN-Kinderrechtskonvention, die bei allen Maßnahmen die vorrangige Berücksichtigung des Wohles des Kindes fordert4 – in Einklang zu bringen ist, entzieht sich der Wirkungsmacht eines lokalen Jugendhilfeausschusses und erscheint angesichts der derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Situation als generell schwer durchsetzbar.

Ein Teilerfolg wurde jedoch allemal erreicht. Das Thema der Kindeswohlgefährdung im Zusammenhang mit Abschiebung wurde in die öffentliche Debatte getragen, und das nicht nur in dieser Stadt. Auch in anderen Bundesländern wurde aufmerksam verfolgt, was in Dresden passiert und regt möglicherweise anderswo zu ähnlichen Initiativen an. Auch ist die Tatsache nicht zu unterschätzen, dass nun überhaupt ein Beschluss zu der Problematik existiert, auf den Bezug genommen werden kann. Jetzt kommt es auf die Mitwirkung Vieler an, damit der Beschluss Wirkung in der Praxis entfalten kann. Die beteiligten Mitglieder des Jugendhilfeausschusses werden kritisch beobachten, wie die Umsetzung seitens der Stadtverwaltung erfolgt. Aber es sind vor allem jene gefragt, die in ihrem Beruf oder auch im persönlichen Umfeld Kontakt zu im Asylverfahren befindlichen oder in Duldung lebenden Kindern, Jugendlichen und deren Familien haben. Sie sollten genau hinschauen, ob Indizien für eine Kindeswohlgefährdung im Falle einer drohenden Abschiebung vorliegen – und diese ggf. melden. Im Kollegium des Ausländerrates wurde die Entwicklung einen Kriterienkataloges angeregt, anhand dessen entschieden werden könne, in welchen Fällen eine Meldung an das Jugendamt erfolgen soll.

Peter Streubel, Ausländerrat Dresden e.V.

 

1 Der ursprüngliche Antrag ist hier zu finden: http://ratsinfo.dresden.de/getfile.php?id=325507&type=do&

2 Eine Zusammenfassung der Anhörung ist auf dem Blog des Ausschussmitgliedes Carsten Schöne zu finden: http://www.carsten-schoene.com/oeffentliche-anhoerung-zur-sicherung-des-kindeswohls-bei-abschiebungen/

3 Der Antrag in der beschlossenen Version ist hier zu finden: http://ratsinfo.dresden.de/getfile.php?id=367307&type=do&

4 s. UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 3 — Wohl des Kindes: https://www.kinderrechtskonvention.info/uebereinkommen-ueber-die-rechte-des-kindes-370